Kennen Sie das? Ihr Mann hört Ihnen einfach nicht zu? Oder er weicht aus auf Ihre Frage, ob er Sie noch liebe. Ihr 12-jähriger Sohn dagegen kippt immer wieder das Glas um. Ihre Frau beschwert sich über die Zahnpaste im Waschbecken. Ihr Arbeitskollege hält Ihnen vor, dass sie ihm ins Wort fallen, Sie dagegen finden seine Beiträge lähmend nichtssagend. Sie halten Ihren Nachbarn für einen Rassisten. Oder etwa die Nachbarin für unmoralisch.
Es gibt unzählige Anleitungen, Ratgeber, Berater und schliesslich noch die gutmeinenden Ratschläge Ihrer Umgebung, die auf diese Nöte mehr oder weniger hilfreiche Antworten parat haben. Und vielfach über Symptompflästerchen vor dem Hintergrund jeweils eigener Erfahrungen nicht hinaus kommen.
Wie bei einer sich wiederholenden Krankheit wäre es doch sinnvoll, die Ursachen zu untersuchen?
Und in diesen Missverständnissen sind die eigentlich grossenteils bekannt:
„Die Wissenschaft hat herausgefunden“ … was ich hier grob so zusammenfasse:
Etwa die Hälfte unserer Verhaltensweisen hat Ihren Grund in genetischer Prägung, die auf der Basis von Erbgut mit Hormonen und Zellstrukturen angelegt wird.
Vereinfacht: Genau so, wie es äusserliche Unterschiede zwischen den Menschen gibt, gibt es Unterschiede im Aufbau der Gehirnstrukturen, die genetisch bedingt sind.
Die andere Hälfte der Verhaltensweisen gilt als soziokulturell geprägt. Das heisst durch das, was wir von Eltern, Freunden, Lehrern, Polizisten, Nachbarn etc. in Ritualen und Routinen schon von der Zeugung an und erst recht nach der Geburt vorgelebt bekommen und daran zunehmend aktiv teilnehmen.
Die Abgrenzung ist nun nicht klar definiert, die Bereiche beeinflussen sich gegenseitig. Und zwar in ihren Phasen und Stärken von Mensch zu Mensch nicht ganz gleich.
Während wir als Gesellschaft für unser Zusammenleben bestimmte Regeln aufgestellt haben und deren Befolgung mehr oder weniger gut finden, sie einhalten und sie überwachen (oder auch nicht), geben wir unserer gemeinsamen Lebenswelt eine Struktur.
Nebenbei: auch bewusst ungeregelte Bereiche können wir als geregelt bezeichnen.
Diese Regeln werden aufgrund von Werten aufgestellt, die jeder von uns hat, als Einzelperson und wiederum als Personengruppe. Normalerweise suchen wir uns im Leben ein Umfeld mit Menschen, die unseren Werten einigermassen entsprechen oder mit Werten, mit denen wir umgehen können. Wir kennen solche Werte etwa wie Ehre, Freiheit, Sparsamkeit, Leistung, Status und andere.
Wie intensiv wir die Nähe zu solchen Wertegemeinschaften suchen und wie wichtig sie für uns im Alltag sind, hängt wiederum vom individuellen Drang nach Zugehörigkeit ab; auch dies ein Wert.
Solche Umfeldgruppen finden wir in der Familie, im Sport, im Beruf, in Glaubensgruppierungen, in der Politik. Kurz: In allen Lebensbereichen.
Jeder Mensch bewegt sich in mehreren zum Teil recht unterschiedlichen Gruppen.
Genau so, wie unser Denken von Mensch zu Mensch nicht ganz gleich ist, sind unsere persönlichen Werte nicht ganz gleich. Und in der Folge blicken wir nicht ganz gleich auf diese gemeinsamen Regeln.
Das erzeugt laufend Verhandlungsbedarf. Und weil früher und jetzt nicht gleich ist, müssen auch bewährte Regeln immer wieder neu verhandelt werden. Ob dies das Hygieneverhalten vor, während oder nach einer Pandemie betrifft, ob das die Verhaltensregeln für unsere Kinder, Direktionsregeln in einem Projekt, Gesprächsregeln im Unterricht, Verkehrsregeln sind – es ist im Prinzip übertragbar.
Diese Herausforderungen – sei es durch Übereinstimmung oder Abweichung der Werte - erzeugen bei jedem von uns Gefühle, schwächere oder intensivere, angenehme oder unangenehme.
Diese hängen in ihrer Art und Stärke wiederum von verschiedenen Einflussfaktoren ab: etwa vom Lebensalter, der eigenen tatsächlichen oder gefühlten Machtposition, dem kognitiven Verständnis (Denk-Verständnis), von der Ernährung (Alkohol, Fett, Nikotin, Zucker, Cannabis, Protein, ...) und anderen.
Alle diese Einflüsse bewirken, wie unser Gehirn und der übrige Körper damit umgeht.
Auch die individuellen Unterschiede in unserer Gehirnstruktur, unsere Hormone (über die Blutbahnen) und die Neurotransmitter (Botenstoffe über die Nerven) wirken in diesen Abläufen mit – und auch das von Mensch zu Mensch nicht ganz gleich ausgeprägt.
Und bei den Hormonen sind wir wieder bei den Unterschieden.
Aufgrund der Gehirnstrukturen können, dürfen, müssen wir sagen: Diese Gefühle sind von uns nicht beeinflussbar – auf das limbische Zentrum (da entstehen die Gefühle) haben wir keinen direkten Einfluss.
Und daraus folgt: Gefühle sind immer richtig.
ist das kein Freibrief für Mord und Totschlag!
Denn: Wie wir mit diesen Gefühlen umgehen, wo und wie wir sie erkennen, deuten, uns darauf einlassen (oder eben nicht) und welche Handlungsweisen wir daraufhin zulassen, darauf haben wir einen gewissen Einfluss – und können den auch ausbauen.
Um die gefühlsbedingten Handlungsweisen beeinflussen und kontrollieren zu können, müssen wir unsere eigenen Gefühle erkennen, benennen und zunehmend verstehen lernen.
Auch wenn das nie ganz gelingen wird: Wir können uns daran herantasten, forschen, suchen, fragen.
Das fällt den einen leichter, den anderen schwerer.
Und das Schöne: Das hat nicht zwingend mit einem hohen IQ oder einer umfangreichen Schulbildung zu tun!
Ich habe noch nie jemanden erlebt, der grundsätzlich nicht fragen könnte und den Weg der Eigenbeforschung nicht hätte entwickeln können. Dabei kann ich auf ein Erfahrungsfeld vom Neugeborenen bis zum fast 100-Jährigen, vom mehrfach schwerstbehinderten bis zum höchstbegabten Menschen zurückgreifen – oder in Zahlen ausgedrückt: auf einen IQ-Bereich von deutlich unter 60 bis 175!
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